Von der Gegenwart bis heute

Der Weihnachts-Circus gehört zu Dresden wie der Striezelmarkt. Obwohl ungleich jünger, wurde er in mehr als 27 Jahren gleichermaßen zur Tradition. Es ist eine Erfolgsgeschichte, an der viele schrieben, Initiatoren und Macher, Medienpartner und Sponsoren. Nicht zu vergessen, die Aufgeschlossenheit der Kommune.

Das Entscheidendste jedoch: das Publikum. Die stetig wachsende Zahl der Besucher ermöglichte den Weg nach oben. Heute ordern viele ihre Tickets bereits, bevor bekannt ist, mit welchen Manegen-Stars die neue Show aufwartet. Was für ein Vertrauen!

Freilich gilt Dresden von alters her als eine der bedeutendsten deutschen Circus Städte. Schon das allererste Circus Gastspiel 1804 durch Christoph de Bach musste des starken Besuchs wegen verlängert werden. Circus König Ernst Jacob Renz bezeichnete die sächsische Residenz 1845 als seine „Glücksstadt“. Die Historie ist der heutigen Generation kaum noch bekannt.

Den Dresdner Weihnachts-Circus kennt jedermann. Seine Beliebtheit resultiert daraus, dass er ein alljährliches Unikat darstellt, nur für diesen Ort und diese Zeit inszeniert. Mit einem Aufwand, den sich kein Wandercircus leisten kann. Und wie das Weihnachtsfest selbst, führt er ganze Familien zusammen.

WIE ALLES BEGANN

Der Dresdner Weihnachts-Circus ist ein Produkt der deutschen Einheit. Er hat eine Mutter und vier Väter: Ingrid Geier-Busch, die Seniorchefin und treibende Kraft; Sohn Oliver, Direktor des westdeutschen Circus Busch-Roland, der auch den letzten DDR-Zirkus Busch erwarb; der niederländische Tourneeleiter, Pressechef und glänzende Organisator Laurens Thoen; der leidenschaftliche Dresdner Ernst-Heinrich Klöden, seinerzeit Geschäftsführer der Dresdner Ausstellungsgesellschaft und Herr über den städtischen Circus Platz; der Dresdner Schriftsteller und Circus Historiker Ernst Günther, der die Busch-Roland-Story recherchierte und unter dem Titel „Piste Peitsche Notebook“ veröffentlichte.

1994 hatte Busch-Roland den ersten echten Weihnachts-Circus nach Dresden gebracht - mit Krippe, Evangelium, den Heiligen drei Königen, „Stille Nacht, heilige Nacht“ und Kunstschnee. Die Zuschauer waren überwältigt. Doch die Behörden nicht zu überzeugen, dass ein Weihnachtscircus nur Sinn ergibt, wenn er alljährlich stattfindet.

Während andere Unternehmen mit eher schlichten „Weihnachtsgastspielen“ in die Fußstapfen zu treten suchten, beauftragte Klöden in Abstimmung mit dem Kulturamt Günther, eine „Projektstudie Dresdner Weihnachts-Circus“ zu erarbeiten, die die Stadtväter überzeugen sollte. Sie untersuchte die unterschiedlichen Erscheinungs- und Produktionsweisen des neuen Phänomens und leitete davon spezifische Vorschläge für Dresden ab. Nach allgemeiner Akzeptanz erwies sich, dass allein Busch-Roland bereit war, sich für Jahre festzulegen, die Anregungen aufzugreifen und eigene Ideen einzubringen.

Ausgehend von der klassischen Dreieinigkeit Artisten, Tiere, Clowns stimmten alle Beteiligten dem künstlerischen Profil zu, welches den Dresdner von anderen Weihnachtscircussen unterscheiden sollte. Sowohl der Direktor als auch seine Frau Natascha, eine international bekannte tschechische Artistin, verfügten über ausgezeichnete Kontakte nach Osteuropa. Was lag näher, als sich künstlerisch auf diese Länder und ihre hervorragend ausgebildeten jungen Artisten zu orientieren?

Mitte 1997 übertrug die Kommune Busch-Roland die Ausrichtung des Dresdner Weihnachts-Circus und im Dezember überraschte das Unternehmen mit einer mitreißenden Show, in deren Mittelpunkt die russische Clowness Antoschka stand. Lange Zeit sollte der Dresdner der einzige Weihnachtscircus im Osten bleiben. Viele Manegen Künstler traten von hier ihren Weg durch Europa an. Der eine oder andere gehört längst zu den Preisträgern des Festivals International du Cirque de Monte-Carlo.

Bundesweit Beachtung fand der Dresdner Weihnachts-Circus, als das Fachblatt fürs Showbusiness „Organ“ 1998 unter der Headline „Circus als VIP-Ereignis“ über ein Novum berichtete, welches dem Zirkus neue Publikumsschichten erschloss. Die Partner MDR und Dresdner Morgenpost luden gemeinsam mit der Direktion Politiker, Künstler, Sportler, Wirtschaftskapitäne, sogar die Bischöfe und verdiente Bürger ein. Eine Riesenparty vereinte Gäste und Zirkusleute.

DIE NEUE ÄRA

Um ein Haar wäre der 14. der letzte Dresdner Weihnachts-Circus gewesen. Busch-Roland geriet in eine schwere Krise und musste das Zelt für immer einholen. Als „Nothelfer“ sprang der Dresdner Artist und Schausteller Mario Müller-Milano ein. Er kaufte das restliche Material des Unternehmens, tilgte die Schulden und übernahm die Direktion. Die langjährigen Mitarbeiter behielten ihren Arbeitsplatz. Der Dresdner Weihnachts-Circus war gerettet!

Müller-Milano entstammt einer Zirkusdynastie, die auf das Jahr 1822 zurückgeht. Sein Vater Vilmos, preisgekrönter Kraftakrobat, und seine Mutter Sonja, Solotänzerin und Tierlehrerin, betrieben in der DDR 23 Jahre lang den Familiencircus Milano. Mario, bereits vierjährig erstmals in der Manege, lernte, wie in solchen Unternehmen üblich, in allen Sparten. Seine eigene Darbietung baute er sich als Drahtseilequilibrist auf. 1966 erhielt er den DDR-üblichen Berufsausweis für Zirkus, 1972 nach einer Weiterbildung an der Staatlichen Fachschule für Artistik Berlin auch den als freiberuflicher Akrobat.

Eine glänzende Artistenkarriere folgte, wurde jedoch durch einen schweren Sturz vom Seil abrupt beendet. Als Schausteller fand er ein neues Betätigungsfeld und stieg auf zum Sprecher des Verbandes. Die Dresdner machten ihn zum Rummelkönig.

Trotz allem blieb er dem Zirkus auf vielfältige Weise verbunden, namentlich arbeitete er mit dem ostdeutschen Zirkus Probst zusammen. Nach der Wiedervereinigung gründete er eine Agentur für Zirkusmanagement und Veranstaltungsservice.

„Der Weihnachts-Circus muss der beste Zirkus des Jahres in Dresden sein“. Mit diesem Anspruch trat der neue Direktor an. Das erforderte neue Impulse, neue Ideen, neue Partner und mehr Aufwand. Mit der ständigen Zunahme von Weihnachtszirkussen im Europa veränderte sich die Wettbewerbssituation auf dem Artistenmarkt gravierend.

Insbesondere russische und ukrainische Artisten sind heute überall heiß begehrt. Demzufolge verliert das Dresdner Profil zunehmend sein Alleinstellungsmerkmal, bleibt jedoch als Spezialität erhalten. Primär setzt Müller-Milano auf Preisträger internationaler Zirkusfestivals von Monte Carlo bis Ishewsk, chinesische Akrobatenschulen, Weltstars und Publikumslieblinge. Dabei gilt sein Credo: „Manegenkünstler müssen nicht nur Leistung bringen, sondern auch Herz.“

Ein solcher Satz ist typisch für ihn. Während viele Betreiber von Weihnachtszirkussen Manager sind, setzt der geborene Zirkusmann andere Prämissen. Zirkus ist von alters her Gemeinschaft, die von einem Patriarchen geführt wird. Ihre Fundamente sind Vertrauen und Verlässlichkeit. Jeder muss, wenn nötig, überall anpacken, damit der Zirkus erfolgreich sein kann.

Es wundere sich also niemand, wenn er den Direktor antrifft, wie er mit dem Vorschlaghammer Anker für das Zelt in den Boden treibt oder sonstige „unangemessene“ Arbeiten verrichtet. Natürlich weiß Milano, dass dieser Direktorentypus in unserer Gesellschaft ausstirbt. Doch es stört ihn nicht, er blickt tiefer als manch anderer und hat genügend Potential für die Zukunft. 

Der Aufstieg des Dresdner Weihnachts-Circus gibt ihm Recht. Seit er 2010 den berühmten Sprung ins kalte Wasser wagte, ging es rasch bergauf. 2012 wurde der Dresdner unter 400 Bewerbern zum „Besten Weihnachtszirkus Europas“ gewählt. Im Folgejahr trug die vom MDR ausgestrahlte Live-Sendung des Ökumenischen Gottesdienstes aus der Manege wesentlich zur Erhöhung des internationalen Bekanntheitsgrades bei. 3,8 Prozent Marktanteil bedeuten nach Angaben des Senders, dass durchschnittlich 50 000 Zuschauer eingeschaltet hatten. Die Übertragung durch den Radiosender Figaro tat ein Übriges. In der Spielzeit 2018/2019 stellte der Dresdner Weihnachts-Circus mit über 78.000 Besuchern zum 23. Dresdner Weihnachts-Circus einen neuen Rekord auf.

MEHR ALS NUR DIE SHOW

So toll die Show auch sein mag: zum Weihnachts-Circus gehört mehr“, betont der Direktor. Vom ersten Tag an schenkt er dem Ambiente der weihnachtlichen Zeltstadt, die größte Europas, die gleiche Aufmerksamkeit wie der Show.

Zum neuen Grand Chapiteau, dem größten 4-Mast-Zelt Europas, gesellt sich das große Erlebniszelt mit riesigem, prachtvoll geschmücktem Christbaum, kleinem Weihnachtsmarkt, historischem Caféwagen und Gastronomiezelten. Im neuen, größeren Vorzelt eine Ausstellung von Oldtimer-Traktoren, früher die ultimativen Zugmaschinen des Wanderzirkus, Hobby des Direktors. Drumherum und dazwischen wuseln Clowns und weitere Akteure. Schminkstand, Popcornmaschine und Zuckerwattendreher fehlen nicht.